Von Waffenruhe keine Spur

Eigentlich sollte ab Samstag eine Waffenruhe in der zwischen Armenien und Aserbaidschan umkämpften Region Bergkarabach herrschen. Stattdessen wird der Krieg weitergeführt, nicht mal wenige Minuten lang herrschte Frieden. Die als „humanitäre und temporäre“ beschriebene und von Russland in zähen Verhandlungen ausgelotete Waffenruhe ist zum Fiasko geworden, die beiden Kriegsparteien werfen sich nun gegenseitig vor, Aggressionen und Angriffe auf den jeweils Anderen durchgeführt zu haben. Insbesondere Aserbaidschan tut sich mit einer kriegslüsternen Rhetorik hervor, die jegliche Bombardements innerhalb der eigentlichen Waffenruhe als „präventive Maßnahmen gegen armenische Angriffe“ beschreibt und legitimiert. Parallel dazu versuchen sie weiterhin, Gebiete in Bergkarabach zu erobern und bombardieren Städte der Region. Ein Frieden scheint ferner denn je.

Vorab trafen sich die Außenminister Aserbaidschans und Armeniens in Moskau mit ihrem russischen Gegenpendant, welcher einer vermittelnde Rolle einnahm. Nach zähen und langwierigen, insgesamt zehn Stunden andauernden Verhandlungen einigte man sich auf eine vorübergehende Waffenruhe, um an den Frontlinien Leichen zu bergen und diesen Frieden als Basis für langfristigere Gespräche nutzen zu können. Russland betonte zudem, dass diese diplomatischen Aktionen auch mit der Hilfe der USA und Frankreichs entstanden sind. Dennoch entwickelte es sich zu einem völligen Fiasko: An vereinzelten Punkten konnten die Vereinbarungen umgesetzt werden, an anderen Orten hielt die Waffenruhe nicht mal wenige Minuten: Stattdessen wurden die Angriffe sogar intensiviert bzw. Militäroffensiven einfach fortgeführt.

Beispielhaft dafür ist der Süden Bergkarabachs. In den flachen Feldern des Flussbettes des Aras konnte Aserbaidschan in den vergangenen Tagen durchaus Erfolge vorweisen und mehrere Ortschaften erobern, wovon viele aufgrund ihrer Nähe zu den Frontlinien nur noch Ruinen waren. Aber auch Städte wie Jubrayil sollen sich größtenteils unter der Kontrolle Aserbaidschans befinden. Derzeit versuchen die Streitkräfte von Baku, weiter nördlich in Richtung des Ortes Hadruts vorzudringen, wo es zu schweren Gefechten zwischen den verschiedenen Seiten kommt. Während das Verteidigungsministerium Aserbaidschans bereits vor Tagen behauptet hat, Hadrut gesichert zu haben, befindet es sich weiterhin unter der Kontrolle Armeniens bzw. Bergkarabachs. Es gab einige Berichte darüber, dass aserbaidschanische Einheiten die Stadt infiltrierten und zwei Einwohner töteten, bevor örtliche Milizen mit der Unterstützung armenischer Truppen sie wieder vertrieben.

Anderorts sind die Drohnen aus türkischer und israelischer Produktion für Aserbaidschan aktiv, um die Waffenruhe zu „überwachen“. In Wirklichkeit aber werden sie wie vor den Verhandlungen regulär zur Vernichtung des Feindes eingesetzt. Das Verteidigungsministerium in Baku bezeichnet diese Maßnahmen aber als „präventive Sicherheitsvorkehrung“, um „in Begriff stehende Angriffe“ zu vereiteln. Damit legitimieren sie mehrere Bombardements auf Artilleriepositionen oder sogar auf Städte. Insbesondere die Hauptstadt der umkämpften Region mit dem Namen Stepanakert ist weiterhin den tagtäglichen Artillerie- und Raketenangriffen ausgesetzt, die meisten Einwohner und internationalen Journalisten müssen in den vielen Kellern ausharren. Insgesamt ereigneten sich die meisten Angriffe im Norden und Süden, abgesehen von den Bombardierungen der größeren Städte.

Einen Tag später startete Armenien oder Bergkarabach (Aserbaidschan behauptet, dass der Angriff von Armenien ausging während die Vergangenheit gezeigt hat, dass das nicht der Fall war) einen Vergeltungsangriff auf die zweitgrößte Stadt des östlichen Nachbarlandes, Ganja. In dessen Folge wurden mehrere Wohnhäuser getroffen, den örtlichen Behörden zufolge starben dabei sieben Zivilisten. Ganja liegt etwa 50 Kilometer von den Frontlinien entfernt und war in der Vergangenheit bereits das Ziel armenischer Raketenangriffe. Demnach wurde der Militärflughafen vor Ort beschädigt, welcher nachweislich auch von der Türkei genutzt wird und sich türkische Soldaten vor Ort befinden. Damit kann man faktisch davon ausgehen, dass die nie in Kraft getretene Waffenruhe ihr völliges Ende gefunden hat. Ob in absehbarer Zeit neue Verhandlungen zwischen den beiden verfeindeten Ländern stattfinden werden, ist schwer vorauszusagen.

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