Situation im Jemen spitzt sich zu

Seitdem die jemenitischen Houthi-Rebellen, offiziell unter dem Namen „Ansar Allah“ bekannt, ihre Offensive auf die von vielen als kriegsentscheidend betitelte Stadt Marib gestartet haben und in den letzten Monaten wichtige Erfolge vorweisen können, haben die Gefechte und Konflikte im ganzen Land wieder zugenommen. Während Ansar Allah wie nie zuvor Drohnen und Raketen gegen Ziele innerhalb Saudi-Arabiens einsetzt, intensiviert das nördliche Nachbarland seine Unterstützung für die Exilregierung unter der Führung von Mansour Hadi, fliegt regelmäßig Angriffe auf die von den Houthis kontrollierte Hauptstadt Sanaa und beteiligt sich an etlichen Gegenoffensive im Norden und Süden des Jemens, die von unterschiedlichen Erfolg gekrönt sind. Von der einstigen Stockholm-Vereinbarung, deren integraler Bestandteil eine Waffenruhe war, bleibt nicht mehr viel übrig. Insbesondere die Houthis sehen in der Eroberung von Marib die Chance, den Krieg im Land mittelfristig für sich entscheiden zu können.

Die Offensive auf Marib ist weiterhin auf beiden Seiten von schwerem Widerstand und hohen Verlusten geprägt. Die Houthi-Rebellen konnten das Marib-Reservoir etwa zehn Kilometer südlich der Stadt nahezu vollständig erobern und weiter westlich eine wichtige Verbindungsstraße besetzen, während im gebirgigen Westen der gleichnamigen Provinz Marib die wohl heftigsten Gefechte andauern, während die Houthis dort langsam vorrücken. Innerhalb der Stadt ist es bisher weitgehend ruhig, bis auf die Flucht Hunderter bis Tausender Flüchtlinge aus den Vororten und gelegentlichen Angriffen durch Drohnen und Raketen auf das Stadtzentrum. Bei der derzeitigen Geschwindigkeit und Erfolgsrate ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis die Houthis die letzten Gebirgsketten um den Ort erobern und damit letztendlich ein wichtiges Verkehrskreuz erobern können.

Während die Koalition unter dem Banner der Exilregierung in Marib etliche Niederlagen erfährt, scheint sich das Blatt an anderen Frontabschnitten im Jemen zu wenden: In mehreren Regionen wurden Gegenoffensiven gestartet, um die Houthis in diesen Gebieten zu binden und ihnen somit wichtige Ressourcen für die Marib-Operation wegzunehmen. Insbesondere in der Umgebung der seit Jahren geteilten Stadt Taiz gab es Erfolge, so konnte die Regierungsarmee dort größere Gebiete weiter südlich sichern, wodurch die Gefahr einer Umkreisung von Taiz vorerst gebannt wurde. Auch an anderen Orten in der Nähe von Taiz wurden ähnliche Offensiven gestartet, die jedoch nur kleinere Eroberungen hervorbringen können, teilweise konnten die Houthis sogar zurückschlagen und neue Territorien sichern. Einen weiteren Versuch gab es im Nordwesten Jemens, der Hajjah-Distrikt an der Grenze zu Saudi-Arabien. Trotz anfänglicher Fortschritte und der Eroberung mehrerer Dörfer konnte eine Houthi-Gegenoffensive den Angriff weitgehend zurückschlagen, wodurch derzeit die schwersten Kämpfe bei al-Kazamiyah andauern. Während sich die Situation stabilisiert hat, könnten neue Gegenangriffe die neuesten Erfolge der Houthis zunichte machen.

Marib kann auf eine lange Geschichte zurückblicken, besonders im jemenitischen Konflikt nahm er eine besondere Rolle ein. Denn eigentlich besitzt die Stad lediglich 20.000 Einwohner. Diese Bevölkerungszahl konnte sich aber in Folge des Krieges vervielfachen, einigen Schätzungen zufolge halten sich zwei Millionen Flüchtlinge in der Provinz auf. Grund hierfür ist die Herrschaft der Islah-Partei, dem inoffiziellen jemenitischen Ableger der Muslimbruderschaft. Diese konnte bisher relativ erfolgreich ihre Territorien aus den Gefechten heraushalten, auch wenn sie offiziell die Exilregierung unter Präsident Mansour Hadi unterstützen und von Saudi-Arabien und Katar finanziert werden. Die Islah-Partei musste jedoch enorm an Einfluss einbüßen, insbesondere seit Anbeginn der Houthi-Offensive und wird allgemein als Buhmann innerhalb der Regierungskoalition gesehen, viele Jemeniten sehen die Muslimbruderschaft als heimliche Unterstützer der Houthis, obwohl es hierfür keine Beweise gibt.

Die Eroberung von Marib würde viele neue Fronten eröffnen, darunter ein Angriff auf den letzten jemenitischen Grenzübergang zu Saudi-Arabien, al-Wadiah. Zudem liegen dort viele Bohrtürme und Raffinerien, welches eine der letzten Einnahmequellen für die jementische Regierung darstellt. Gerade in der Wüste im Osten des Jemens wäre es aufgrund der schieren Größe nahezu unmöglich, dauerhafte Verteidigungen und Patrouillen einzusetzen und somit wichtige Ressourcen von den aktiven Frontlinien im Südwesten des Landes abzuziehen, auch wenn die Houthi-Rebellen in der Vergangenheit wenig effektiv in diesem Terrain waren. Bereits heute soll es in der Wüste feste Schmugglerringe geben, die beispielsweise Waren und Waffen von der omanischen Grenze zu den Houthi-Gebieten schaffen. Stattdessen würden kleinere Verbände an Houthi-Kämpfern die Grenzstädte zur Wüste attackieren, ähnlich den asymmetrischen Taktiken des Islamischen Staates in Syrien und dem Irak. Vor allem aber wäre es auch eine Botschaft an die Golfstaaten, welche vor inzwischen sechs Jahren in den Konflikt auf Seiten der Regierung eingriffen. Die Eroberung von Marib wäre eine Rückkehr nach 2014, weite Erfolge der Golfstaaten-Intervention würden damit zunichte werden.

Militärische Situation in der Umgebung von Marib – die neuesten Vorstöße sind weiter nordwestlich auf der Karte zu verzeichnen

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