Russische Kräfte rücken um Bachmut herum vor

Der elfte Monat des Krieges in der Ukraine ist geprägt von russischen Versuchen, auch außerhalb der hart umkämpften Stadt Bachmut neue Offensiven zu starten und neue Territorien zu erobern. Umliegende Dörfer von Bachmut fallen zunehmend in russische Hände, ein baldiger Abzug aus der Stadt scheint unabdingbar, die Frage ist nur wann. Denn die Verteidigung des Ortes geht in den siebten Monat, russische Angriffe anderswo in der Ukraine sind bisher nur wenig von Erfolg gekrönt. Nichtsdestotrotz sind sie eine Erinnerung daran, dass mit dem Ende des Winters auch russische und ukrainische Kräfte auf eine Frühlingsoperation setzen, die wahlweise als kriegsentscheidend interpretiert wird.

Russland startete vereinzelte Offensiven am südlichen Frontabschnitt wohl in der Hoffnung, dass die Ukraine einen großen Teil ihrer Kapazitäten derzeit in Bachmut einsetzen würden und entsprechend nur unzureichende Reserven zur Verteidigung anderswo hätten. Einmal kam es zu einem größer angelegten Angriff im Oblast Saporischschja, wo man laut russischen Angaben das Dorf Mali Scherbaky erobern konnte, wofür es aber eine Woche nach dieser Veröffentlichung keine Beweise gibt. Wahrscheinlich rückten russische Truppen im Niemandsland zwischen den Fronten vor, um kurz darauf wieder durch die ukrainischen Verteidiger zurückgeworfen zu werden.

Wesentlich intensiver war der erneute Angriff auf die Stadt Wuledar im südwestlich von Donezk, einem kleinen aber urbanem Zentrum des Bergbaus. Der Ort ist von strategischer Bedeutung, denn von dieser Kleinstadt aus hat das ukrainische Militär den Überblick über die einzige Zugverbindung zwischen Krim-Halbinsel und Donbass, entsprechend bedeutsam für die russische Infrastruktur ist diese Siedlung also. Der erste Angriff darauf konnte aber erfolgreich abgewehrt werden, es kam dabei zu keinen Veränderungen der Frontverläufe und mehrere russische Angriffsgruppen wurden zum Rückzug gezwungen. Zwar hat Russland Wuledar noch nicht aufgegeben, weitere Offensiven darauf erscheinen aber ähnlich von Misserfolg geprägt.

Im Nordosten der Ukraine haben sich beide Fraktionen zu einem Stillstand gekämpft. Nur wenige Kilometer trennen die ukrainische Armee von den Städten Swatowe und Kreminna, jedoch konnten russische Verbände durch Verstärkungen in Form der verbliebenen VDV-Eliteeinheiten und Reservisten den Gegner erfolgreich zurückdrängen. Nun gibt es Befürchtungen darüber, dass Russland dort ebenfalls eine Gegenoffensive starten könnte. In den letzten Tagen haben die Artillerieangriffe erheblich zugenommen, was den Boden für russische Operationen vorbereiten könnte. Der Oblast Luhansk könnte in der Zukunft also wieder wichtiger werden.

Trotz dieser lokal beschränkten Offensiven durch Russland konzentriert sich das Hauptaugenmerk der beiden Fraktionen auch weiterhin auf die Stadt Bachmut, welche wohl in den nächsten Wochen oder Monaten durch die russische Privatarmee Wagner und den verbündeten regulären Streitkräften erobert werden könnte. Denn um die Stadt zieht sich die Schlinge sukzessive weiter zu, nach den Erfolgen im Süden und der Eroberung der nordöstlich gelegenen Stadt Soledar ist nun auch der nördliche Ortseingang von Bachmut russischen Erfolgen ausgesetzt. Effektiv existiert nur noch eine feste Versorgungsroute in und aus Bachmut hinaus, entsprechend prekär könnte sich die Situation also entwickeln. Trotzdem konnten die ukrainischen Kräfte alle feindlichen Vorstoßversuche innerhalb der Stadt vereiteln, weswegen sich die Siedlung weiterhin fest unter der Kontrolle von Kiew befindet.

Sechs Monate ausbleibendem Erstürmungserfolg für Russland hat zum Wechsel der Taktiken geführt, weswegen hier nun die Szenarien von Lyssychansk oder Mariupol wiederholt werden sollen, sprich eine mögliche Einkreisung und im Idealfall eine Belagerung der verbliebenen ukrainischen Einheiten. Deswegen kontrollieren russische Söldner und Soldaten im Süden den Vorort Opytne und das Dorf Klischtschiwka, von wo sie aus die wichtige Straßenverbindung zwischen Bachmut und dem restlichen Gebiet der Ukraine bedrohen. Zwar ist sie noch nicht physisch gekappt, jedoch sollen Fahrzeuge auf der Straße immer wieder Artillerieangriffen ausgesetzt sein. Im Norden sieht es nach der Eroberung von Soledar und den umliegenden Dörfern ähnlich aus.

Dort haben sich ukrainische Einheiten weitgehend hinter den Fluss Bachmutowka zurückgezogen, das dadurch entstandene Vakuum wurde von Wagner umgehend ausgenutzt und weitere Dörfer erobert. Die nördliche Verbindungsstraße nach Bachmut ist damit blockiert, in den Vororten und den ersten Straßen von Bachmut selber kommt es derzeit zu Gefechten. Damit existiert ein Zangenangriff auf die Stadt, welcher ohne eine ukrainische Gegenoffensive auch nicht enden wird und die Verteidigung ernsthaft gefährden könnte. Die Vergangenheit zeigte jedoch, zuletzt im nur wenige Kilometer entfernten Soledar, dass das ukrainische Militär sich effektiv und ohne Verluste zurückziehen kann. Bis dieser Punkt erreicht ist könnte aber noch viel Wasser den namensgebenden Fluss Bachmutowka herunterfließen, denn die Schlacht um Bachmut beweist, dass Prognosen und Voraussagungen nur eine kurze Haltbarkeit besitzen.

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