Türkei rückt in Nordsyrien nur langsam vor

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Kämpfer der Nationalarmee in einem der neulich eroberten Dörfer 

Der bisherige Erfolg der türkischen Großoffensive mit dem Titel „Operation Friedensquelle“ und der Unterstützung syrischer Islamisten kann nur als beschränkt bemessen werden. Zwar steht man kurz davor, zwei arabische Grenzstädte erfolgreich zu isolieren und zu belagern, jedoch geschieht dies unter schwerem Widerstand der kurdisch-arabischen „Syrischen Demokratischen Kräfte“ (SDF) und Verlusten in den eigenen Reihen, so vermeldet man erstmals den Tod des ersten türkischen Soldaten. Dennoch wird die Türkei wohl in den kommenden Tagen ihre erste Stadt im syrischen Territorium erobern können, nachdem die Kurden zunehmend isoliert werden.

In der Grenzstadt Ras al-Ayn wurde erstmals ein türkischer Soldat getötet, wie das türkische Verteidigungsministerium bestätigt. Das erste türkische Opfer nach nicht mal zwei Tagen zeigt auf, dass die türkische Armee wesentlich involvierter im Vergleich zur Afrin-Operation ist und auch direkt an den Frontlinien kämpft. Zudem berichtet die türkische Regierung von über 220 Opfern auf Seiten des kurdisch-arabischen Milizenbündnisses, darunter Tote, Verletzte und Gefangene. Die SDF wiederum vermeldet den Tod und Gefangennahme von Dutzenden syrischen Islamisten der „Syrischen Nationalarmee“, welche als Frontinfanterie für den türkischen Vorstoß fungieren. Zudem wurden angeblich mehrere Fahrzeuge der feindlichen Streitkräfte erfolgreich zerstört.

Die militärische Situation in den Grenzstädten Ras al-Ayn und Tel Abyad wird zunehmend kritischer für die SDF. Mit dem Einsatz türkischer Spezialeinheiten und direkter Koordination der Luftangriffe versuchen die türkischen Streitkräfte, eine Entscheidung herbeizuwirken und die beiden Orte zu belagern und dadurch den verlustreichen Häuserkampf zu vermeiden. Zwar sind die Dörfer östlich und westlich von Tel Abyad unter fester Kontrolle der Türkei und syrischer Islamisten, jedoch wurden bisher jegliche Angriffe auf die Siedlungen südlich von Tel Abyad abgewehrt. Es gibt sogar Berichte, dass die SDF-Verbände zwei Orte in der Nacht wiedereroberten, jedoch gibt es dafür keine Bestätigung.

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Blau zeigt die eroberten Gebiete in der Operation Friedensquelle

In Ras al-Ayn sieht die Situation hingegen schlechter aus. Südwestlich des Ortes konnte die Türkei erstmal eine größere Ortschaft namens Tell al-Hafaf sichern und auch südlich weiter vordringen. Trotz der Präsenz kurdischer Spezialkräfte (YAT) eroberte die Türkei sogar den östlichen Stadteingang und das Industrieviertel, der einzige Ausweg für Nachschub und Zivilisten ist durch türkische Bombardements effektiv zerstört. Derzeit sieht es danach aus, als würde Ras al-Ayn als erste größere Stadt in die Hände der Türkei fallen.

Für die Bevölkerung vor Ort hat sich wenig verändert, bis zu 60.000 Menschen ergriffen bisher die Flucht, viele davon mindestens das zweite Mal in den letzten acht Jahren. Die verbliebenen Zivilisten in Tel Abyad oder Ras al-Ayn sind eingeschlossen und es gibt keine Möglichkeit für sichere Flucht mehr. Angeblich wurde auch ein „Zivilkonvoi“ auf dem Weg nach Tel Abyad von türkischen Luftangriffen getroffen, die wiederum drei Personen das Leben kosteten. In Kobane bzw. Ayn al-Arab versammelten sich Tausende, um gegen den türkischen Angriffskrieg zu demonstrieren. Außerdem gibt es bereits erste Meldungen von ausgeraubten Häusern in den von Islamisten kontrollierten Gebieten an der Grenze.

Die intensivierten Artillerie- und Luftangriffe bedeuten auch vermehrt Tote unter den Zivilisten. In Qamishli wurden mehrere Wohnungen von Christen zerstört, in den fast vollkommen verlassenen Städten Ras al-Ayn und Tel Abyad gibt auch immer mehr Berichte von Toten. Auch auf der anderen Seite der Grenze gibt es erstmals Meldungen von getöteten Zivilisten. In der türkischen Stadt Akcakale wurden durch kurdischen Gegenbeschuss drei Personen auf einem Markt umgebracht, in einer weiteren Grenzstadt Nusaybin wurden gezielt Wohnungen von Polizisten attackiert. Insgesamt kommt es auch fernab der Frontlinien zu Angriffen auf türkische Institutionen, in Istanbul beispielsweise wurde ein Parteibüro in Brand gesteckt. In weiten Teilen der Türkei könnte es zu ähnlichen Vorfällen kommen.

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