Neue Waffenruhe für Idlib ist ein Sieg für die syrische Regierung

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Bei einem Treffen zwischen dem russischen Präsidenten Vladimir Putin und seinem türkischen Gegenpendant Erdogan in Moskau einigte man sich auf eine gemeinsame Waffenruhe für die letzte, noch von Islamisten kontrollierte Provinz Idlib in Syrien, welche seit Dezember Schauplatz der neuesten Militäroffensive der Syrisch-Arabischen Armee (SAA) und verbündeter Gruppierungen ist. Der neue Frieden kann als militärischer und diplomatischer Sieg für die syrische Regierung gewertet werden, da die Türkei nun offiziell von ihrer ehemaligen Position abgerückt ist, alle territorialen Gewinne der SAA seit Dezember auch notfalls militärisch zurückzuerobern. Zudem zeigte die Vergangenheit bereits mehrfach, dass syrische Waffenruhe lediglich zur Vorbereitung neuer Operationen dienen und keinen langfristigen Erfolg haben.

Mit einem so jähem Ende der türkischen Militäroffensive in Syrien hatte man nicht gerechnet, dennoch muss sich die türkische Regierung nach nicht mal einer Woche, seit dem Start der Operation, geschlagen geben und ihre einstigen Ziele aufgeben. Über den ganzen Februar hinweg drohte Erdogan damit, dass man die syrische Armee notfalls auch militärisch zurückschlagen werde, sollte sie sich nicht zu den in den Sotschi-Gesprächen zwischen Russland und der Türkei geeinigten Frontlinien zurückziehen und damit die Eroberungen seit Dezember aufgeben. Stattdessen wurden nun sämtliche Gebietsgewinne als Status Quo bestätigt. Zudem besitzt die Türkei weiterhin keine Lösung für all die Flüchtlinge, welche in Idlib entlang der syrisch-türkischen Grenze ausharren oder an der griechischen Grenze blockiert werden, was den innenpolitischen Unmut fördern wird.

Zu den wichtigsten Beschlüssen des Vertrages zählt die Ernennung der M4-Autobahn zu einer Demarkationslinie. Die Fernstraße, welche die Städte Latakia und Aleppo miteinander verbindet und dabei quer durch Idlib verläuft, galt als nächstes Eroberungsziel der syrischen Armee, bevor die Türkei mit der sogenannten „Operation Spring Shield“ selber intervenierte und dem Militär schwere Verluste zufügen konnte, wodurch sich die syrischen Streitkräfte vorerst zurückziehen mussten. Jeweils nördlich und südlich der Autobahn wird eine rund sechs Kilometer breite „Demilitarisierungslinie“ errichtet, wo zu weder die syrische Armee, noch oppositionellen Gruppierungen Zutritt haben sollen. Ab dem 15. März wird diese Zone dann durch gemeinsame russisch-türkischen Patrouillen überwacht, ein Modell welches es bereits mehrfach in Nordsyrien gab, auch zwischen der Türkei und USA.

Unklarheit herrscht zudem darüber, ob die Dutzenden militärischen Basen in Idlib, wovon viele von der syrischen Armee erfolgreich erobert bzw. umkreist wurden, nun evakuiert oder weiterhin als Ausdruck einer wirkungslosen Türkei-Politik existieren sollen und als potentielle Geiseln von der syrischen Regierung genutzt werden können, sollte die Türkei neue Aggressionen starten. Eine dieser türkischen Checkpoints befindet sich auch in den Ghab-Feldern in Süd-Idlib. Die syrische Armee konnte die Region fast vollständig erobern, bevor die Türkei einen Tag später ihre Offensive startete und man sich dementsprechend aus weiten Teilen zurückziehen musste. In Folge des türkisch-russischen Deals könne dieses Gebiet wieder kampflos an die syrische Regierung fallen, da es südlich der M4-Autobahn liegt.

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Ungefähres Gebiet, welches die demilitarisierte Zone in Idlib werden würde

Es gibt wenig Hoffnung auf einen langfristigen Frieden, das hat Vergangenheit immer wieder gezeigt. Stattdessen werden Waffenruhen als Pausen von beiden Seiten genutzt, um sich neu zu gruppieren, Verstärkungen an die Frontlinien zu schaffen und neue Stellungen auszuheben. Teil der neuen demilitarisierten Zone ist ebenfalls die Region rundum Latakia und der Stadt Jisr al-Shughour, die inzwischen mehrheitlich von dschihadistischen Gruppierungen aus Tschetschenien, Degestan, Usbekistan oder der chinesischen Xianjiang-Provinz (Uiguren) beherrscht wird. Diese Gruppierungen sind nicht dafür bekannt, sich an zwischenstaatliche Vereinbarungen zu halten und werden alles unternehmen, um weiterhin ihren Dschihad in Syrien ausführen zu können. Dadurch erhält die syrische Regierung wiederum eine neue Legitimation, gegen die Opposition militärisch vorgehen zu können.

Der derzeitige Deal erinnert frappierend an all die Waffenruhen der vergangenen Jahre. So einigten sich Russland und die Türkei beispielsweise 2018 auf eine etwa 15 bis 20 Kilometer breite „demilitarisierte Zone“ entlang der Frontlinien in den Provinzen Idlib, Hama und Aleppo. Diese Pufferzone soll eine militärische Eskalation der derzeitigen Situation in Idlib verhindern. Die Kontrolle sollten dann türkische und russische Patrouillen in einem Gebiet übernehmen, welches vom Latakia-Gebirge bis an die Großstadt Aleppo reichte. Heute ist das Ergebnis offensichtlich: Nach mehrfachen Brüchen und neuen Verhandlungsversuchen kontrolliert die syrische Armee die Hälfte der Provinz Idlib und die Provinz Aleppo inzwischen fast vollständig.

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