Türkei & Einheitsregierung triumphieren in Libyen

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Seit der desaströsen Niederlage auf dem westlibyschen Luftwaffenstützpunkt al-Watiyah befindet sich die „Libysche Nationalarmee“ (LNA) unter der Führung des Kommandanten Khalifa Haftar auf dem Rückzug aus jenen Gebieten, die in Folge der Tripolis-Offensive erobert werden konnten. Innerhalb von 24 Stunden konnte die sogenannte „Einheitsregierung“ (GNA) unter Premierminister Fayiz al-Sarraj Vororte von Tripolis wiedererobern, die die Nationalarmee über den Verlauf des letzten Jahres sichern konnte. Durch die massive Intervention der Türkei konnte somit ein Sieg der Nationalarmee abgewehrt und eine erfolgreiche Gegenoffensive gestartet werden. Während die Türkei als der größte Sieger aus dem Konflikt hervorgeht, könnte Russland eine eigene Intervention planen.

Der Pressesprecher der Nationalarmee kündigte bereits vor wenigen Tagen einen „taktischen Rückzug“ von den Tripolis-Frontlinien an, womit wohl das inoffizielles Ende der Tripolis-Offensive eingeleitet wurde. Nun aber sind die militärischen Verhältnisse auch faktisch klar verteilt: Sämtliche südlichen Vororte und Viertel von Tripolis, die über die vergangenen Monate unter enormen Verlusten erkämpft wurden, befinden sich nun wieder unter der Kontrolle der Einheitsregierung. Einzig der Internationale Flughafen von Tripolis verbleibt unter der Kontrolle der Nationalarmee, obwohl dessen Rückeroberung auch nur eine Frage der Zeit ist. Auch in den Städten und Dörfern südlich von al-Watiyah konnten die Milizen der Einheitsregierung vorrücken und neue Gebiete sichern. Vorübergehend sah es sogar danach aus, als könnte die GNA problemlos etwa hundert Kilometer gen Süden entlang der Gharyan-Straße vordringen, bis sie letzten Endes durch den Widerstand der LNA gestoppt wurden, welche zumindest einige Orte wie Mizdah oder al-Sharqia wiedererobern konnten. 

Derzeit laufen alle Vorbereitungen auf eine Offensive auf die Großstadt Tahrhuna hin, welche eine der größten Hochburgen der ostlibyschen Tobruk-Regierung bzw. der Nationalarmee in der Region darstellt und zudem ein wichtiges Hauptquartier besitzt. Hier könnte es zum nächsten schweren Gefecht kommen, da die Nationalarmee nicht einfach die Stadt kampflos aufgeben wird. Jedoch ist unsicher wie gut die LNA Verstärkungen an die Frontlinien bringen kann, da türkische Drohnen regelmäßig feindliche Militärkonvois und -fahrzeuge bombardiert, wodurch unter anderem neun russische Pantsir-S1-Luftabwehrsysteme zerstört wurden. Ohnehin ist die LNA nun mit einem gestärkten Gegner konfrontiert, der seine Ressourcen nicht mehr auf Orte wie Tripolis oder den Watiyah-Flughafen konzentrieren muss. 

Während der Niederlage von al-Watiyah verkündete Haftar eine große Bombardierungskampagne von Tripolis und betonte dabei, dass auch türkisches Militär nun als legitimes Ziel gilt. Bisher blieben derartige Luftangriffe aus, jedoch lässt sich auf dem zentrallibyschen Flughafen des Landes, al-Jufrah, eine wichtige Entwicklung bemerken: Mehrere MiG-29 und SU-24-Kampfjets wurden auf den Flugfeldern gesichtet, welche über die syrisch-russische Militärbasis al-Hmeimin in Libyen stationiert wurden. Auch gab es in den vergangenen Tagen vermehrt Flüge zwischen Serbien, Belarus und Ostlibyen. Die Stationierung russischer Jets würde ein neues Kapitel für Russland in Libyen bedeuten, da es seine Verbündeten bisher nur mit Waffen, russischen Privatsöldnern und diplomatischer Unterstützung versorgte, jedoch selber nicht direkt intervenierte.  

Ohnehin ist das außenpolitische Ausmaß der letzten Entwicklungen unklar. Die traditionellen Unterstützer der Nationalarmee wie Ägypten oder die Vereinigten Arabischen Emirate werden zwar weiterhin ihren Stellvertreter unterstützen, werden jedoch auch auf einen möglichen „Sturz“ von Haftar hinarbeiten, welcher in Hinsicht seiner militärischen Fähigkeiten einen eher fragwürdigen Ruf besitzt und immer öfters kritisiert wird. Öffentlich unterstützen sie zumindest eine von der UN geplante Waffenruhe, was wohl Ausdruck von Zweifeln an einem militärischen Sieg ist. Russland könnte das verlorene Vertrauen wiederum für sich selbst nutzen und eine stärkere Anbindung erwirken, erst recht vor einer möglichen Intervention der russischen Regierung.

Der größte Nutznießer der Situation ist hingegen die Türkei, welche durch ihre Intervention der Wegbereiter für einen Sieg der Einheitsregierung darstellt und damit das Szenario der russischen Intervention in Syrien für sich selbst reproduzieren konnte.  Ob die Einheitsregierung auf ihre Territorien im Nordwesten des Landes beharren oder größere Ambitionen auf ganz Libyen entwickeln wird, ist ebenso unsicher. Zumindest deutet die derzeitige Lage auf eine mögliche Spaltung des Landes hin, auch wenn alle involvierten Fraktionen eine derartige Lösung ablehnen. 

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Die Tobruk-Regierung unter Kahlifa Haftar kontrolliert etwa 90% des Landes, ein Großteil davon ist jedoch Wüste. Die dortige Koalition bestand zunächst aus verschiedenen Milizen, welche sich jedoch auch aufgrund internationaler Hilfe zunehmend professionalisierten und inzwischen in Form der „Libyschen Nationalarmee“ zu den stärksten Streitkräften auf dem libyschen Schlachtfeld gehören. Dennoch agieren viele Milizen unter dem Schirm der LNA weiterhin unabhängig. Haftar verschrieb sich persönlich primär der Bekämpfung von islamistischen Kräften im Land, so wurden über mehrere Jahre und Monate hinweg Städte wie Benghazi oder Dernah aus den Händen des Islamischen Staates, al-Qaidas oder lokaler Islamisten befreit. Unterstützt wird er dabei vor allem durch Russland, das Nachbarland Ägypten, die Vereinigten Arabischen Emirate und auch Frankreich, welches zunehmend gute Beziehungen zu Haftar aufrecht erhält, nachdem er für eine Notoperation nach Frankreich transportiert wurde. Auch Griechenland, Saudi-Arabien und Jordanien unterstützen Ostlibyen. Zudem ist er amerikanischer Staatsbürger, nachdem er erfolglos gegen Ghadaffi 1989 geputscht hatte und die USA ihm eine Zuflucht anbot.

Auf der anderen Seite befindet sich die sogenannte „Einheitsregierung“, welche von der UN als legitimer Vertreter des libyschen Staates angesehen wird. Im Vergleich zur Tobruk-Regierung existiert eine niedrigere militärische und politische Einheit, immer wieder versuchen lokale Milizen aus den verschiedenen Vorstädten von Tripolis um die Herrschaft zu buhlen und attackierten auch mehrmals die örtlichen „Tripolis Protection Force“. Die verschiedenen Milizen vor Ort haben die tatsächliche Macht in der Region, die Regierung unter al-Sarraj ist vergleichsweise machtlos und auf die internationale Unterstützung angewiesen. Diese Unterstützung erhalten sie in erster Linie von der Türkei, aber auch der Iran und Katar transportierten bereits Waffen und lieferten finanzielle Hilfe. Der Konflikt zwischen der Einheits- und Tobruk-Regierung ist aber nicht nur Ausdruck geopolitischer Machenschaften, sondern zeigt die weiterhin bestehende Aufteilung des Landes in das ostlibysche Cyranaika und westlibysche Tripolitanien auf, die die angespannten Beziehungen der Regierungen und Bevölkerung stärken.

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