Russisch-türkischer Konvoi in Idlib angegriffen

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Bei den inzwischen regelmäßig stattfindenden Patrouillen türkischer und russischer Streitkräfte entlang der M4-Autobahn in der Provinz Idlib, welche in Folge der beschlossenen Waffenruhe zur „entmilitarisierten Zone“ erklärt wurde, kam es am Dienstag zu einem schweren Zwischenfall: Eine Autobombe explodierte nahe dem russischen Abteil des Konvois, schleuderte einen Transportpanzer hinweg und verletzte dabei mindestens drei russische und türkische Soldaten. Der durch islamistische Organisationen verursachte Anschlag ist der neueste Versuch radikalerer Fraktionen, die Waffenruhe in der Region gewaltsam zu beenden. Diesen Wunsch könnten sie nun erfüllt bekommen, als Reaktion begannen die syrische Regierung und Russland, ihre Luft- und Artillerieangriffe auf Idlib wiederaufzunehmen.

Es handelte sich dabei um die 21. gemeinsame Patrouille entlang der M4-Autobahn, welche die Städte Aleppo und Latakia miteinander verbindet und dabei quer durch Idlib verläuft. Der Angriff fand nahe der Stadt Ariha zu Beginn der Strecke statt. Bisher ist unklar, ob es sich um eine von fern gezündete Autobombe oder um einen Selbstmordattentäter handelte, wahrscheinlicher ist aber ersteres Szenario. Ebenso unsicher sind die Täter, zu den möglichen Angreifern könnten Schläferzellen des Islamischen Staates gehören oder andere Fraktionen wie die dschihadistische Gruppierung Khatteb al-Shishani, welche enge Beziehungen zu al-Qaida unterhält und seit Monaten mit ständigen Angriffen und Überfällen auf Positionen der syrischen Armee versucht, die Waffenruhe zu beenden.

Diese russisch-türkischen Konvois an ihrer Weiterfahrt zu behindern war bereits seit der ersten Patrouille der Fall, damals versuchte noch die Bevölkerung mit Hilfe verschiedener Milizen wie Tahrir al-Sham (ehemals bekannt unter den Namen Fateh al-Sham oder al-Nusra) die Straße zu blockieren. Zunehmend aber entwickelt sich der Widerstand militanter, bereits am Montag entschärften türkische Truppen eine Sprengstoffvorrichtung (IED) auf der M4, welche wahrscheinlich einen Tag später detonieren sollte. Davor kam es zudem zu einzelnen gewaltsamen Auseinandersetzungen, in denen türkische Soldaten verletzt wurden oder Proteste gewalttätig aufgelöst wurden.

Als Resultat dieses Ereignisses startete Russland und die syrische Luftwaffe wieder vermehrt Operationen über die Provinz Idlib, insbesondere die Region rundum Ariha und das Zawiyah-Gebirge nahe Latakia sind von Luftangriffen betroffen. Vereinzelt gibt es auch Meldungen vom Artillerieeinsatz gegen Stellungen der Opposition. Damit besteht auch das Risiko, dass diese Attacken zum Ende der Waffenruhe finden könnten, auch da die syrische Armee seit Monaten ihre Frontlinien mit neuen Truppen verstärkt und es immer wieder Gerüchte davon gibt, dass man eine neue Idlib-Offensive plane. Bisher bewegt sich das Niveau der russischen und syrischen Gegenangriffe aber auf eine reine Vergeltungsaktion.

Es gibt ohnehin wenig Hoffnung auf einen langfristigen Frieden, das hat Vergangenheit immer wieder gezeigt. Stattdessen werden Waffenruhen als Pausen von beiden Seiten genutzt, um sich neu zu gruppieren, Verstärkungen an die Frontlinien zu schaffen und neue Stellungen auszuheben. Teil der neuen demilitarisierten Zone ist ebenfalls die Region rundum Latakia und der Stadt Jisr al-Shughour, die inzwischen mehrheitlich von dschihadistischen Gruppierungen aus Tschetschenien, Degestan, Usbekistan oder der chinesischen Xianjiang-Provinz (Uiguren) beherrscht wird. Diese Gruppierungen sind nicht dafür bekannt, sich an zwischenstaatliche Vereinbarungen zu halten und werden alles unternehmen, um weiterhin ihren Dschihad in Syrien ausführen zu können. Dadurch erhält die syrische Regierung wiederum eine neue Legitimation, gegen die Opposition militärisch vorgehen zu können.

Der derzeitige Deal erinnert frappierend an all die Waffenruhen der vergangenen Jahre. So einigten sich Russland und die Türkei beispielsweise 2018 auf eine etwa 15 bis 20 Kilometer breite „demilitarisierte Zone“ entlang der Frontlinien in den Provinzen Idlib, Hama und Aleppo. Diese Pufferzone soll eine militärische Eskalation der derzeitigen Situation in Idlib verhindern. Die Kontrolle sollten dann türkische und russische Patrouillen in einem Gebiet übernehmen, welches vom Latakia-Gebirge bis an die Großstadt Aleppo reichte. Heute ist das Ergebnis offensichtlich: Nach mehrfachen Brüchen und neuen Verhandlungsversuchen kontrolliert die syrische Armee die Hälfte der Provinz Idlib und die Provinz Aleppo inzwischen fast vollständig.

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