Schwere Kämpfe zwischen Türkei und Kurden in Syrien

Am Freitag brachen in Nordsyrien zwischen dem kurdisch-arabischen Milizenbündnis der „Syrischen Demokratischen Kräfte“ (SDF) und der von der Türkei unterstützten und abhängigen „Syrischen Nationalarmee“ (SNA) schwere Gefechte aus, die nach mehrwöchigen Plänkeleien erstmals in Gebietsveränderungen mündeten. Entsprechend lang existieren auch Gerüchte darüber, dass die Türkei eine neue Militäroffensive im südlichen Nachbarland vorbereitet, um zum wiederholten Male einen Teil Syriens zu besetzen und der SDF erheblichen Schaden zuzufügen. Pro-türkische Islamisten konnten demnach innerhalb eines Tages zwei Dörfer erobern, die jedoch seit langem verlassen sind und dementsprechend Teil einer Demarkationslinie zwischen SDF und SNA darstellen. Dabei erhielten sie erhebliche Unterstützung der Türkei, welche materiellen Lieferungen auch Artillerieunterstützung bereitstellte. Dennoch ist unklar, ob daraus eine größere Operation entstehen könnte oder ob es sich lediglich um einen Versuch handelt, die Moral durch einen kleineren Erfolg zu heben und nach langer Zeit wieder Gewinne vorzuzeigen.

Die Gefechte fanden östlich der syrischen Stadt Ain Issa statt, dort liegt seit der letzten türkischen Offensive in Nordsyrien vor wenigen Jahren die Frontlinie zwischen SDF und den diversen islamistischen, von der Türkei organisierten und finanzierten Milizen. Bisherigen Meldungen zufolge konnte die SNA die Dörfer Mushayrifah und al-Tinah, welche im Niemandsland liegen und nur sporadisch von SDF-Einheiten betreten werden, da ihre Position zu verwundbar für feindliche Angriffe ist. Dennoch ist die Lage bedeutend, denn nur wenige Kilometer weiter südlich liegt die M4-Autobahn, welche im Norden Syriens die Städte Aleppo mit Qamishli miteinander verbindet und dementsprechend einmal quer durch die Region verläuft. Sollte die pro-türkische Offensive weiter andauern wäre dies wohl vorerst das strategische Ziel, hinzu könnte auch Ain Issa selber kommen. Dort befinden sich aber weiterhin Soldaten der russischen und syrischen Armee, die als Schutzkraft vor türkischen Übergriffen dienen sollen. Jedoch kam es in den vergangenen Wochen zu viel Truppenrotationen, ein Großteil der russischen Streitkräfte wurde vor Ort abgezogen, was die Gerüchte einer türkischen Offensive nur weiter anfachte.

Dass die Türkei offenbar derart kurzfristig eine neue Militäroperation plant, ist wenig überraschend. Hintergrund dafür ist wohl die Abwahl des (noch amtierenden) US-Präsidenten Trumps, welcher nur wenig Interesse für amerikanische Vorhaben in Syrien zeigte und unter seiner Ägide einen Großteil der amerikanischen Truppen aus dem Norden des Landes zurückgezogen wurde, was der türkischen Regierung Tür und Tor für Anti-SDF-Offensiven öffnete. Unter Joe Biden könnte sich diese Apathie nun ändern, welcher symbolisch für die Rückkehr der alten US-Außenpolitik steht. Zudem ist relativ bekannt, dass Biden besonders der Türkei bzw. Erdogan kritisch gegenüber steht. Dieses derzeit bestehende Machtvakuum der ausländischen Mächte ist also für die Türkei die derzeit beste und womöglich auch letzte Chance sein, neue Tatsachen in Syrien und gegenüber der Demokratischen Syrischen Kräfte zu schaffen.

Die Folgen einer solchen Operation wären offensichtlich, wie die Vergangenheit bereits in Afrin oder Tel Abyad gezeigt hat. Die christliche Minderheit, welche sowohl in Ain Issa als auch Tel Tamr vergleichsweise stark vertreten ist, fürchtet die Herrschaft der Türkei bzw. ihrer syrischen Stellvertreter. Daran Schuld ist vor allem das Verhalten der Islamisten: Die „Syrische Nationalarmee“ ist ein türkischer Versuch, die verschiedenen islamistischen Milizen unter der eigenen Schirmherrschaft in Afrin und Nord-Aleppo zu vereinen, faktisch jedoch existiert keine gemeinsame Struktur und Organisation. Stattdessen kommt es immer wieder zu Plänkeleien um Macht und Einfluss zwischen den verschiedenen Gruppierungen, die oft auf den Rücken der Bevölkerung ausgetragen werden.

Bereits heute wiederholte sich das Afrin-Szenario in Nordsyrien: Massenvertreibung Zehntausender Kurden, Christen und anderer Minderheiten, Zunahme von ethnischen Konflikten zwischen Arabern und Kurden durch die aufgezwungene Deportation syrischer Flüchtlinge in den traditionell kurdischen Gebieten, die Zerstörung von kurdischen und religiösen Kulturgütern wie z.B. Friedhöfe oder Schreine oder die Ausbeutung von natürlichen Ressourcen. in Tel Abyad wurden beispielsweise mehrere Familienmitglieder entführt, damit man von den Verwandten Lösegeld fordern kann, ein Großteil der ehemals kurdischen Läden und Häuser wurden von Islamisten konfisziert und zum eigenem Wohnsitz umfunktioniert. Derweil schickt die Türkei die ersten Flüchtlinge aus anderen Teilen des Landes nach Tel Abyad, um einen forcierten demographischen Wandel durchzuführen.

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