Russland eliminiert islamistische Führungsriege in Idlib

Am Donnerstag gelang der russischen Luftwaffe ein erfolgreicher Schlag gegen die islamistische Opposition in Syrien, welche sich inzwischen größtenteils auf die letzte, noch unter aufständischer Kontrolle befindende Provinz Idlib beschränkt. Die dabei dominierende Kraft, Tahrir al-Sham (ehemals bekannt unter den Namen Jahbat Fateh al-Sham und al-Nusra, syrischer al-Qaida-Ableger), musste schwere Verluste bei einem Luftangriff erleiden, der wichtige Führungspersonen aus der ersten und zweiten Reihe eliminierte, seit Jahren gab es nicht einen derartigen Erfolg zu verzeichnen. Damit spitzt sich die Situation in der Provinz auch wieder zu, nachdem es seit drei Jahren zu einer wackeligen, aber haltenden Waffenruhe zwischen den verschiedenen involvierten Fraktionen im Konflikt gekommen ist. Die neue Situation führte direkt zu neuen Scharmützeln zwischen Islamisten und syrischer Armee, in denen türkische Streitkräfte ebenfalls beteiligt sind.

Es war ein unerwarteter und plötzlicher Angriff Russlands, der das Dorf Ibleen im Süden Idlibs traf. Mehrere Luftschläge bzw. Drohnenangriffe trafen einen Konvoi der islamistischen Miliz Tahrir al-Sham, der dominierenden und stärksten Fraktion innerhalb der syrischen Opposition und zugleich derzeit damit bemüht, fernab der bereits bestehenden türkischen Unterstützung auch westliche Länder zu beschwichtigen und sich als „konservativ-konstruktive“ Kraft zu inszenieren, wie es bereits zuvor diverse islamistische Gruppierungen wie Ahrar al-Sham versucht haben. Bei dem Angriff starben drei ranghohe Mitglieder von Tahrir al-Sham: Abu Khaled al-Shami, Militärsprecher und Anführer der zivilen Sicherheitskräfte, Kommandant Moataz al-Nasr und Abu Musab, welcher als Koordinator und für die öffentliche Arbeit zuständig war. Mit der Ausnahme des Anführers Abu Mohammed al-Joulani handelt es sich dabei um die wichtigsten Mitglieder innerhalb der Miliz, der Verlust ist dementsprechend hoch. Man erwartet Vergeltungsschläge von Seiten der Islamisten, die bisher bis auf den Einsatz von Mörsern weitgehend ausgeblieben sind.

Parallel dazu intensivierte die syrische Armee mit russischer Unterstützung ihre Angriffe und Bombardements auf Süd-Idlib, insbesondere mithilfe von Artillerie werden viele Grenzorte beschossen, darunter auch Ibleen. Insgesamt wurden dabei über elf Kämpfer getötet, auch ein syrischer Soldat soll durch Gegenbeschuss ermordet worden sein. Dabei kam auch ein türkischer Außenposten unter Artilleriefeuer, welcher derzeit nahe der Frontlinie konstruiert wird und zur Überwachung der Waffenruhe dienen soll, faktisch aber vor allem den türkischen Einfluss in Idlib sichert. Die neue Situation führt aktuell zur Massenflucht von Zivilisten, jedoch ist vorerst keine größere militärische Operation zu erwarten. Stattdessen verfolgt die syrische Armee wohl das Kalkül einer Eskalation, nachdem sich die Opposition im Zugzwang befindet. Einige militante Gruppen wie Ansar al-Tawhid reagierten mit dem Einsatz von Überfällen und Raketen auf Verteidigungsstellungen der syrischen Armee, was der Regierung wiederum weitere Reaktionsoperationen erlaubt.

Es ist ein expliziter Wille von Tahrir al-Sham unter der Federführung von al-Joulani und Abu Musab, sich als moderater zu präsentieren als man in Wirklichkeit ist in der Hoffnung, international so Anklang und zumindest partielle Unterstützung zu erhalten. Das begann bereits mit der offiziellen Loslösung von al-Qaida im Jahre 2016, welche aber im gegenseitigen Einvernehmen erfolgt ist und bis auf personelle Wechsel kaum zu ideologischen und strategischen Veränderungen geführt hat. Einzige Ausnahme: Statt eines betont internationalen Dschihads orientierte man sich eher am Vorbild der Taliban oder anderer syrischer Islamisten, die „lediglich“ einen Dschihad auf nationaler Ebene kommunizieren, auch wenn ihre Ziele womöglich woanders liegen. Diese Richtungsveränderung sorgte zumindest bei der Türkei auf Zustimmung, die Beziehungen zwischen den zwei Fraktionen intensivierten sich und führten letzten Endes dazu, dass türkische Truppen das Kontrollgebiet von Tahrir al-Sham betreten und somit einen „Schutzring“ um die letzte, noch von Oppositionellen gehaltene Provinz Idlib errichten konnten, der bis heute andauert.

Viele sehen im Verhältnis zwischen der Türkei und HTS bzw. al-Julani eine ähnliche Beziehung wie zwischen Russland und dem tschetschenischen Präsidenten Kadyrow oder der USA und dem ehemaligen somalischen Präsidenten Ahmed: Staatliche Unterstützung und weitgehende Autonomie im Tausch dafür, dass radikalere Kräfte in Schach gehalten werden. Zwar kann al-Julani auf erfolgreiche Kontakte in Richtung der Türkei und diverser Golfstaaten blicken, der bisherige Plan sich dem Westen anzunähern ging bisher aber nicht auf. Trotz Bemühungen verschiedener Think-Tanks wie dem „Middle East Institute“, al-Qaida und Tahrir al-Sham voneinander abzuheben, stuft die USA weiterhin HTS als terroristische Organisation ein, wie der arabischsprachige Twitter-Account des „Rewards for Justice Program“ des amerikanischen Außenministeriums vor wenigen Tagen erst wieder mitteilte. Stattdessen bekräftigte man die Haltung, dass trotz seines neuen modernen Auftretens ein Kopfgeld von 10 Millionen Dollar auf al-Julani ausgesetzt ist.

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