Jabhat al-Nusra von al-Qaida unabhängig erklärt

Nach einigen Tagen voller Gerüchte und unbestätigten Berichten ist es nun beschlossen: Anführer Abu Mohammed al-Joulani bestätigte den Austritt/Abspaltung am 25. Juli. Es gibt zwar noch kein offizielles Statement der Organisation(nen) dazu, aber durch den bereits verkündeten Namenswechsel in „Jabhat Fateh al-Sham“ (JFS), einer neuen Flagge und öffentlichen Stellungsnahmen ist es wohl faktisch verkündet. Das „Shura-Komitee“ entschied in Debatten der wichtigsten Kommandanten der jeweiligen Gruppierungen und Geistlichen „die Interessen der islamischen Nation und Sham [Levante] dadurch zu schützen, den Ungläubigen (Russland & USA) keine Legitimation dadurch zu geben, die syrische Opposition weiterhin anzugreifen.

Vorneweg: Selbstverständlich wird es ideologisch zu keinen Veränderungen kommen. Wir erinnern uns an ehemalige al-Qaida-Ableger, die sich völlig abgegrenzt haben oder zumindest noch ein loses Bündnis besitzen: Islamische Turkestan-Partei, Jund al-Aqsa, oder auch ganz simpel Daesh (entstanden aus der irakischen al-Qaida). Ebenfalls ist völlig klar, dass es eine innerparteiliche Opposition gibt die sich weiterhin für ein aktives Bündnis mit al-Qaida ausspricht. Ob diese Opposition aber besondere Schritte einnimmt bis hin zur Abspaltung von al-Nusra bleibt abzuwarten. Das Verhältnis zwischen Joulani und Zawahiri ist von dem „bay’at Kital fi sabil Allah“ geprägt, das Versprechen des heiligen Krieges im Namen Gottes. Dementsprechend ist es nichts Ungewöhnliches für einen temporären Zeitraum die „Unabhängigkeit“ zu erklären, um größeren Schaden an der „Ummah“ (Islamischer Staat) zu bewahren.

Nusra ist eine aktive Armee die eine Zivilbevölkerung zu verpflegen hat, Infrastruktur und staatliche Strukturen zu unterhalten, mit moderaten Gruppen sich zu verbünden und zugleich gegen sie zu kämpfen. All dies unterscheidet sie von al-Qaida.

Nicht zu vergessen konzentriert sich al-Nusra auf einen „Dschihad in einem Land (Syrien)“ während al-Qaida ebenfalls vom globalen Terrorismus Gebrauch macht. Daher wird auch der Namenswechsel stammen, welcher sich explizit auf den Levante bezieht. Der Namenswechsel hat ebenfalls laut eigenen Angaben den Zweck, dass dadurch die Gegner al-Nusras (Anmerkung: Auch die USA fliegt sehr selten Angriffe auf al-Nusra) „verwirrt“ sein werden und dementsprechend erste Reaktionen aufgrund der Entwicklung unterlassen werden, auch um Resultate abzuwarten. In dieser Zeit soll dabei die syrische Opposition gestärkt und vereint werden. Ebenfalls könnte es einen neuen bürokratischen Prozess für die UN andeuten, der die neue al-Nusra erneut als terroristische Gruppierung klassifizieren muss.

Durch dieses Ereignis nun werden also Wege und Möglichkeit geöffnet, al-Nusra zumindest aus diplomatischer Hinsicht anders zu bewerten.Von einem Bündnis mit Daesh/IS bis hin zu einer öffentlichen Unterstützung der arabischen Staaten für al-Nusra sind prinzipiell alle Wege geöffnet. Ein möglicher Ausblick und die verschiedenen Szenarien für diese Dynamik.

In der Kurzfassung: Es wird keine positive Entwicklung sein.

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Neue Flagge

Mögliche Szenarien und Auswirkungen:

Opposition unter al-Nusra Herrschaft?

Es handelt sich tatsächlich um keine neue Idee. Da al-Nusra bereits (neben Ahrar al-Sham und Jaysh al-Islam) zu den größten Oppositionsparteien gehört kam es schon öfters vor allem mit Ahrar al-Sham und innerhalb von Jaysh al-Fatah (Größtes salafistische Gruppenbündnis) zu Gesprächen, um eine Einigung unter dem Banner von al-Nusra zu bewirken. Al-Nusra genießt großen Respekt bei ihren Feinden, Freunden und der Bevölkerung, insofern bereits die gesamte Opposition in einer gewissen Form abhängig ist.

Beispiel: Innerhalb der UN-Waffenruhe vom 27. Februar kam es zu Kämpfen zwischen der 13th Division (FSA, USA unterstützt) und al-Nusra nachdem die Bevölkerung die Entfernung von al-Nusra forderte, immerhin war al-Nusra von der Waffenruhe ausgeschlossen. Wenig später kam es jedoch zu einer gemeinsamen Offensive der 13th Division und al-Nusra auf Südaleppo, al-Nusra war auf die Panzerabwehrwaffen der 13th Division angewiesen und al-Nusra war die einzige Fraktion die noch Offensiven im großen Maße ausführen konnte.

Dennoch bestand das allgemeine Problem der syrischen Opposition daraus, dass al-Nusra weiterhin Kontakte zu al-Qaida besaß. Man wäre man damit Opfer von amerikanisch-russischen Luftschlägen geworden, vor allem nach der neuen Verkündung einer größeren Kooperation scheint dieses Risiko so hoch wie nie zu sein. Die Erfahrung von amerikanischen Luftschlägen musste al-Nusra bereits schmerzhaft ertragen, nachdem die „Khorasan-Gruppe“ in Syrien letztes Jahr angegriffen wurde, eine Gruppe von Veteranen von al-Qaida.

Sollte sich tatsächlich dieses Resultat ereignen, so werden ausländischen Unterstützern der Opposition wesentliche Schwierigkeiten auferlegt. Auch wenn heute schon es fast unmöglich ist ohne al-Nusra aufzutreten, so würde diese Problematik wesentlich erschwert werden. Dadurch müssten sich ausländische Unterstützer von der USA bis Saudi-Arabien dafür rechtfertigen, auch direkt al-Nusra zu unterstützen. Für die arabische Halbinsel würde es sicherlich weniger Komplikationen ergeben, es würden sicherlich Relativierungsversuche von al-Nusra unternommen werden, sie zu einer „semi-moderaten Rebellengruppe“ erklärt werden und sich grundsätzlich nicht viel ändern. Gerade Qatar ist dort ein Sonderfall, der bereits seit Jahren versuchte das Bündnis zwischen al-Qaida und al-Nusra zu beenden, um eine bessere Unterstützung zu gewährleisten. Für den Westen – unter Druck von terroristischen Anschlägen – wäre es komplizierter. Wie sollen sie da nur die Unterstützung rechtfertigen? Bereits jetzt kritisiert die Bevölkerung und viele Institutionen derartige Aktionen. Zugleich würden Luftschläge auf al-Nusra erschwert ohne den Vorwurf, die „moderate Opposition“ ebenfalls anzugreifen.

Die Wahrscheinlichkeit eines allgemeinen Bündnisses unter al-Nusra ist definitiv wahrscheinlich, nachdem sie bereits im Februar derartige Pläne veröffentlichte.

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Bündnis mit IS/Daesh?

Es gab schon öfters diese Gerüchte, dieses Worst-Case-Szenario von einem Bündnis. Eine große Ähnlichkeit besitzen beide Fraktionen: Ehemalige al-Qaida-Ableger. Einer in Syrien, Einer im Irak. Dementsprechend verkündete Abu Bakr al-Baghdadi bereits früh, sollte sich al-Nusra von al-Qaida trennen werden sie herzlichst aufgenommen werden. Als Reaktion auf diese Verkündung 2013 liefen sogar viele Kämpfer von al-Nusra in Ostsyrien über, ideologische Differenzen existierten immerhin nicht und Daesh konnte wesentlich bessere Angebote für ihre Kämpfer bieten. Bis heute ist die syrisch-libanesische Grenze (Qaa) ein Beispiel für die gegenseitige Unterstützung der beiden Parteien, gemeinsam kämpfen sie gegen die SAA und Hisbollah, um eine langfristige Basis im Libanon zu etablieren. Joulani selber schrieb:“Brothers [Daesh] in Qalamun are hiding plenty of surprises“. Joulani und Zawahiri betonten stehts, dass der Kampf gegenüber den Ungläubigen/Assad wesentlich höhere Priorität einnimmt als gegen Glaubensbrüder z.B. den Islamischen Staat.

Die Beziehungen sind nur dadurch eingerostet, dass Daesh ein eigenes Kalifat errichten ließ und dies für den derartige Glaubensrichtungen üblich als den „Wissensmonopol“ darstellte. Al-Nusra hegt aber ebenfalls das Ziel von einem Ausruf eines Kalifates in Syrien.

Da das mittel- und langfristige Ziel weiterhin die Ausrufung eines Kalifats ist und ihre Beziehungen zu al-Qaida im gewinnen Maße weiterhin existieren ist dieses Bündnis unwahrscheinlich, aber immer noch wahrscheinlicher als es am Besten sein sollte.

Zusammenbruch von al-Nusra?

Ebenfalls eine Option: der Zusammenbruch von al-Nusra. Als al-Qaida vor einigen Monaten ihre wichtigste Basis im Nahen Osten verlor bat al-Zawahiri allen Mujahideen sich in das Levante/Sham zu begeben um dort ihr neues Kibla (Gebetsrichtung) zu errichten. Daraus resultierend gibt es verschiedene Fraktionen innerhalb von al-Nusra, vor allem ausländische Kämpfer die primär einen ideologischen Hintergrund haben, sind äußerst empfindlich bei derartigen Entscheidungen. Im Falle einer erneuten Waffenruhe und der ohnehin intensiven Finanzierung durch verschiedene Investoren mit verschiedenen Interessen könnte dies durchaus zu einem innerparteilichen Kampf führen. Vor allem die eigene Ausrufung eines Kalifats würde quasi den „Dolchstoß“ gegen al-Qaida bedeuten, die Abhängigkeit von al-Qaida von al-Nusra. Ironie der Geschichte.

Kurzfassung: Der Unabhängigkeit von al-Qaida ist hauptsächlich im momentanen Stand eine Farce mit Absegnung von al-Qaida. Sollte Joulani eigene große Pläne wie die Ausrufung des Kalifats weiterhin verfolgen und ebenfalls erzielen, könnte sich der Spieß umdrehen und vom mächtigsten Flügel von al-Qaida zu einem Daesh 2.0 entwickeln. Für die Opposition in Syrien ist diese Entwicklung in jeglicher Hinsicht ein Verlust. Die westliche Politik in Syrien wäre damit vollends gescheitert. 

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