Todenhöfer interviewte kein Mitglied von al-Nusra

Der Journalist Jürgen Todenhöfer ist berühmt für seine investigativen Interviews im Nahen Osten, sei es mitten im von Daesh beherrschten Raqqa oder für Journalisten unzugängliche Gebiete im Irak. Nun soll ihn ein neuer Coup gelungen sein: Ein Interview mit einem Kommandanten der „Jabhat Fateh al-Sham“ (JFS), früher bekannt als syrischer al-Qaida-Ableger „al-Nusra“ mitten im belagerten Ostaleppo. Doch inzwischen verdichten sich die Beweise, dass Todenhöfer weder im von der Opposition gehaltenen Aleppo war, geschweige einen JFS-Kommandanten interviewte, sondern sich mitten in den von der Regierung gehaltenen Teile von Aleppo befand.

 

Der Anfang macht das Ende des Videos, es zeigt den simpelsten visuellen Eindruck vom Standort des Interviews. Die letzten 10 Sekunden zeigen höchst wahrscheinlich die Abreise vom Schauplatz des Geschehens. Es ist klar ersichtlich dass das Auto sich auf dieser Straße südwärts in Richtung des militärischen „Haraybel-Checkpoints“ bewegt. Dieser Checkpoint hat eine leicht zu identifizierbare Struktur, wie man z.B. klar ersichtlich in diesem Video von einer normalen Perspektive erblicken kann. Hier nun der einfache Vergleich eines Screenshots vom Video:

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 Aus der Fahrtrichtung und der Position zu entnehmen befindet sich der nächste Steinbruch direkt nördlich, auch bekannt als Ayn as-Safeer-Steinbruch. Die ersten 25 Sekunden des Videos genügen um zu erkennen von welcher Position des Steinbruchs die Kameraufnahmen gedreht wurden:
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Um nochmal sicherzugehen wurde ein ähnliches Bild von der Fahrt (in dem Steinbruch) und dem Versteck genommen:
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Das wichtige Detail was bis jetzt nicht erwähnt wurde: Dieser Steinbruch ist seit Monaten in Hand der Syrisch-Arabischen Armee bzw. der syrischen Regierung. Während sich der Steinbruch zwar sehr nahe den Frontlinien in Südaleppo befindet, zeigen Satellitenaufnahmen eindeutig die zivile Nutzung dortiger Straßen und landwirtschaftlicher Nutzung des Gebietes. Insofern scheint entweder kein Interesse an dem Beschuss dort zu liegen, oder die Frontlinien befinden sich weiter entfernt. Möglicherweise ist die militärische Priorität dort auch unsagbar gering, gerade in Zeiten der Belagerung gibt es relevantere Positionen.
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Position des Steinbruches in Aleppo

Zusammenfassung: Bereits der Standort des Interviews lässt die Chance auf ein wirklich authentisches Gespräch zu einem JFS-Kommandaten als verschwindend geringen erscheinen. Dennoch gibt es durchaus weitere Aspekte die gegen Todenhöfer’s Behauptung sprechen.

 

Ein populäres Argument welches gegen die Thesen des Interviews sprechen ist der Goldring des JFS-Kommandaten „Abu al-Ezz“. Goldschmuck gilt nach streng orthodox-islamischer Lehre als absolut verboten. Wieso sollte also ein Islamist des JFS mit klaren Verbindungen zu al-Qaida solchen Schmuck tragen? Nun, zwei wichtige Faktoren werden dort außer Acht gelassen: Einerseits sind Goldringe in Syrien bei Männern ein absolut normales und beliebtes Accessoire, insofern auch von eher konservativeren Personen getragen wird. Andererseits ist das Tragen von Goldringen durch Islamisten tatsächlich nichts Seltenes: Bereits Osama bin Laden trug sehr gerne einen Goldring und weiteren Schmuck.

 

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Auch die offizielle „Medienabteilung“ für Fateh al-Sham behauptet niemals ein Interview mit einem deutschen Journalisten geführt zu haben. Relevant ist dabei zu erwähnen, dass JFS offizielle englische Vertreter besitzt die eigentlich derartige Medienangelegenheiten wie z.B. Interviews regeln. Dass sich ein Kommandant zufällig aufgrund von guten Beziehungen von Todenhöfer für ein Interview bereit erklärt hat ist nicht unmöglich, angesichts der sonstigen Handhabung aber recht unwahrscheinlich.

Weiterhin könnte man auch diverse Aussagen innerhalb des Gespräches als äußerst dubios bezeichnen. Während noch vor einigen Wochen JFS in einem Positionspapier Russland und die USA als Verbündete und zwei Seiten der selben Medaille bezeichnet hatte, müsste sich die Ansicht um 180° gedreht haben, was doch aufgrund der Feindschaft und vereinzelter Luftangriffe auf JFS durch die USA als sehr unwahrscheinlich erscheint. Auch ist die Behauptung von ausländischen Ausbildern & Experten zur Unterstützung von islamistischen Kräften eher eine propagandistische Erfindung des Irans, als dass es tatsächlich dafür konkrete Beweise gibt. Ebenfalls würde niemals eine islamistische Gruppierung derart öffentlich ihre Beziehungen zum Westen/USA preisgeben, die USA gilt der Opposition als gemeinsamer Feind, man erfreut sich aber natürlich an amerikanischer Ausrüstung, hinterrücks aber machen die Gruppen keinen Hehl aus ihrer antiamerikanischen Rhetorik.

 

Letzten Endes kann man wohl zusammenfassen, dass die Wahrscheinlichkeit eines verifizierten, authentischen Gespräches zwischen Todenhöfer & JFS sehr unwahrscheinlich ist, wie ebenfalls die zahlreichen Beweise zeigen. Die konkretere Frage sollte also dementsprechend lauten: Wurde Todenhöfer angelogen oder wollte er uns anlügen?

14 Kommentare zu „Todenhöfer interviewte kein Mitglied von al-Nusra“

  1. Dass die Terrorgruppen von den USA in der Türkei ausgebildet werden und auch Waffen über die Türkei erhalten, ist ja wohl mittlerweile ein bekannter Fakt, auch wenn das nicht an die große Glocke gehängt wird. Schon in den Achtziger Jahren erhielten die Moslembrüder Geld und Waffen von den USA. vielleicht hat man Todenhöfer mit diesem Interview getäuscht, aber das, was gesagt wurde, stimmt 100%ig

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    1. Der Einwand stimmt genau dann, wenn man prämissenhaft davon ausgeht, dass Todenhöfer keine eigene antiamerikanische Agenda verfolgt. Was mir neu wäre.

      Dass bsp. die Volksmujaheddin in Afghanistan in den 80ern von den USA gegen die russische Invasion ausgebildet und unterstützt wurden, steht allerdings außer Frage. Zu oft wurden Mi-24 Kampfhubschrauber mit Stingern abgeschossen. Irgendwann sind die Russen entnervt abgezogen. Nur was das mit der Frage, ob das Interview authentisch oder gestellt war, zu tun haben soll, ist mir nicht ganz klar.

      „bekannter Fakt“ zu sagen ohne belastbare Quellen anzugeben macht die Sache übrigens nicht einfacher. Gibt es dazu wenigstens ein Video auf YouTube?

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      1. Es war keine Invasion der Sowjets gewesen, das ist die Geschichte und Propaganda des Westens. Brzeziński hat längst zugegeben, dass die USA bereits ein halbes Jahr vor dem Einmarsch diese sogenannten Mujaheddin unterstützt, bewaffnet und auch ins Land gebracht hat. Diese hatten dann angefangen gegen die Regierung zu kämpfen – darauf hin, bat die damalige afghanische Regierung die Sowjetunion um Hilfe.

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  2. Die Ausführungen erscheinen zugegebenermaßen sehr schlüssig. Die Frage ist doch aber: In welchem Interesse sollte Todenhöfer mit einem solchen Interview lügen? Wir wissen mittlerweile, dass seit dem zweiten Weltkrieg alle Terroraktionen vom Staat gelenkt wurden um Krieg zu führen und diesbezüglich immer und stets im Interesse der USA gelogen wurde. Im Interesse des Westens kam ein solches Interview sicherlich nicht zustande. Oder handelt es sich um eine Aktion im Sinne von divide er impera?

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    1. Ich halte – wenn die Vorwürfe stimmen – Vorsatz auch für unlogisch. Man muss ihn nicht mögen aber er hat gerade erst erfolgreich seine Integrität vor Gericht verteidigt und ich kann mir nicht vorstellen, dass er als nächstes direkr ein Interview fälscht. Schon aus Eigeninteresse macht das wenig Sinn.

      Man sollte außerdem nicht vergessen, dass Al Nusra u.A. in Aleppo gegen die Syrische Armee kämpft und da bilden sie zumindest eine de facto Allianz mit US zugeneigten Gruppen.

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  3. Ich würde Todenhöfer niemals unterstellen, dass er lügt. Wohl aber, dass er so von sich selbst überzeugt (um nicht zu sagen selbstverliebt) ist, dass er gar nicht merkt, wenn man ihn verarscht. Beim ersten Lesen des Interviews wurde ich schon sehr misstrauisch, wie der Befragte da so ungenau antwortete. Vielleicht war dieser Mann auch nur sehr selbstverliebt? Meine Theorie. Ich würde Todenhöfer aber nie gute Absichten absprechen. Immerhin war Michael Jackson einer seiner besten Freunde. Äh. Ja.

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  4. wie peinlich: stills aus dem interview sollen mit satellitenaufnahmen oder irgendwelchen snapshots als beweis GEGEN todenhöfer aufgebaut werden. irgendeine beweiskraft? KEINE! was also ist die absicht?!!! die USA erklärt öffentlich, dass sie über 27 000 bezahlte PR-strategen im einsatz der regierung, der armee und der geheimdienste in diensten hat. warum also wundern, wenn die wahrheit eines todenhöfer, der seinen tod riskiert, unseriös angefeindet wird. lächerlich!

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    1. Stimmt, die fehlende Beweiskraft durch die Lokalisierung des Interviews in Regierungsterritorium ist absolut offensichtlich.
      Geschweige dass es von Todenhöfer auch keine sonderlichen Gegenargumentationsversuche gab…

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