Tripolis-Offensive vor dem Aus

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Seit fast drei Monaten dauert die groß angelegte Offensive der ostlibyschen Tobruk-Regierung bzw. „Libyschen Nationalarmee“ (LNA) auf Tripolis an, von der der einstigen Initiative ist nicht mehr viel übrig: Die verschiedenen Milizen der sogenannten „Einheitsregierung“ mit dem Sitz in der libyschen Hauptstadt Tripolis konnten fast sämtliche Gebiete erfolgreich halten und können inzwischen sogar neue Gebiete erobern, besonders im Süden von Tripolis scheint die Offensive der LNA sich zu einem Fiasko zu entwickeln. Für die Tobruk-Regierung scheint ein Sieg gegen den inzwischen vom Ausland massiv aufgerüsteten Gegner unerreichbar zu sein.

Am Mittwoch gelang der Einheitsregierung ein Durchbruch an der südlichen Front, in dessen Folge mehrere wichtige Orte wiedererobert werden konnten. Nach einer überraschenden Offensive gelang es den vereinigten Truppen, die Nationalarmee aus Hira, Bū Ghaylān, Qawasim, Wādī Shaybah und Gharyan zu vertreiben. Letztere Stadt ist ein besonders herber Verlust, da Gharyan entlang einer wichtigen Versorgungsstraße liegt und man dort wichtige Kommandozentren hatte, von dort aus die Verteilung von Waffen und Munition organisiert wurde. Der Ausbruch Richtung Süden gefährdet dabei die gesamte Tripolis-Operation für die LNA, da mehrere Frontlinien jetzt potentiell abgeschnitten und isoliert werden könnten. An den anderen Frontabschnitten, besonders in den südlichen Vororten von Tripolis und nahe dem Flughafen, kam es hingegen kaum zu erwähnenswerten Veränderungen. Von dem ehemaligen Ziel der Tripolis-Eroberung ist man weit entfernt.

Die verschiedenen Milizen wurden neuerdings mit moderner Waffentechnik von Übersee ausgestattet, allen voran lieferten der Iran und die Türkei neue Waffen, aber auch Militärfahrzeuge wie den „BMC Kirpi“ aus türkischer Produktion. Abgeladen wurden die Waffen mithilfe eines Frachters unter moldawischer Flagge in Tripolis direkt. Die Kriegssysteme scheinen bisher auch Erfolg zu zeigen, stellen sie immerhin die modernsten Waffen in den Händen der Einheitsregierung dar. Zudem behauptet die Libysche Nationalarmee, dass türkisches Personal derzeit Truppen in Tripolis und Misrata ausbildet, dabei sollen die Milizen auch mit dem Einsatz von Drohnen vertraut werden. Seitdem wurden mehrfach Drohnen gesichtet und scheinen sich zunehmend zu einer effektiven Waffe zu entwickeln.

Auf der anderen Seite wurde aber auch die Libysche Nationalarmee durchaus weiter aufgerüstet, allen voran von den Vereinigten Arabischen Emiraten. So wurde vor einer Woche mehrere Flugabwehrsysteme nach Tobruk gebracht, darunter auch die russische Pantsir-S1-Luftabwehrbatterie. Aber auch kleinere Waffensysteme sind Bestandteil von Lieferungen, besonders Ägypten versucht seinen Verbündeten an der westlichen Grenze auch mit Geheimdienstinformationen zu unterstützen.

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Türkische Fahrzeuglieferung am Hafen von Tripolis

Die Tobruk-Regierung unter Kahlifa Haftar kontrolliert etwa 80% des Landes, ein Großteil davon ist jedoch Wüste. Die dortige Koalition bestand zunächst aus verschiedenen Milizen, welche sich jedoch auch aufgrund internationaler Hilfe zunehmend professionalisierten und inzwischen in Form der „Libyschen Nationalarmee“ zu den stärksten Streitkräften auf dem libyschen Schlachtfeld gehören. Dennoch agieren viele Milizen unter dem Schirm der LNA weiterhin unabhängig. Haftar verschrieb sich persönlich der primären Bekämpfung von islamistischen Kräften im Land, so wurden über mehrere Jahre und Monate hinweg Städte wie Benghazi oder Dernah aus den Händen des Islamischen Staates, al-Qaidas oder lokaler Islamisten befreit. Unterstützt wird er dabei vor allem durch Russland, das Nachbarland Ägypten, die Vereinigten Arabischen Emirate und auch Frankreich, welches zunehmend gute Beziehungen zu Haftar aufrecht erhält, nachdem er für eine Notoperation nach Frankreich transportiert wurde. Zudem ist er amerikanischer Staatsbürger, nachdem er erfolglos gegen Ghadaffi 1989 geputscht hatte und die USA ihm eine Zuflucht anbot.

Auf der anderen Seite befindet sich die sogenannte „Einheitsregierung“, welche von der UN als legitimer Vertreter des libyschen Staates angesehen wird. Im Vergleich zur Tobruk-Regierung existiert eine niedrigere militärische und politische Einheit, immer wieder versuchen lokale Milizen aus den verschiedenen Vorstädten von Tripolis um die Herrschaft zu buhlen und attackierten auch mehrmals die örtlichen „Tripolis Protection Force“. Die verschiedenen Milizen vor Ort haben die tatsächliche Macht in der Region, die Regierung unter al-Sarraj ist vergleichsweise machtlos und auf die internationale Unterstützung angewiesen. Der Konflikt zwischen der Einheits- und Tobruk-Regierung ist aber nicht nur Ausdruck geopolitischer Machenschaften, sondern zeigt die weiterhin bestehende Aufteilung des Landes in das ostlibysche Cyranaika und westlibysche Tripolitanien auf, die die angespannten Beziehungen der Regierungen und Bevölkerung stärken.

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