Syrische Islamisten töten während Waffenruhe Dutzende Soldaten

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Screenshot aus einem Propagandavideo von Hurras al-Din

Vor kurzem ereignete sich der bisher tödlichste Tag der bisherigen Idlib-Waffenruhe, nachdem eine islamistische Miliz mit Nähe zu al-Qaida in einer Nacht-und-Nebel-Aktion ein Dorf unter Regierungskontrolle überfiel und dabei Dutzende Soldaten tötete und einige Waffen erbeutete. Als Reaktion darauf startete das syrische Militär mit der Unterstützung Russlands Artillerie- und Luftangriffe mit dem Ziel der Abschreckung auf verschiedene Ziele in der letzten, noch von Islamisten kontrollierten Provinz Idlib. Die neueste Aktion ist Ausdruck des brüchigen Friedens in Syrien, der von Hardlinern auf beiden Seiten gleichermaßen abgelehnt wird und zu einer Wiederaufnahme der Gefechte in der Region inmitten des Coronavirus führen könnte.

Bei den Angreifern handelt es sich um die dschihadistische Gruppierung „Hurras al-Din“, die eine Abspaltung von der größten und stärksten Fraktion innerhalb der syrischen Opposition, Tahrir al-Sham (ehemals bekannt unter den Namen Fateh al-Sham und Jabhat al-Nusra), darstellt. Grund ihrer Unabhängigkeit ist in erster Linie der Bruch mit der al-Qaida-Führung, während Tahrir al-Sham eine unabhängigere Politik fernab von al-Qaida verfolgt, steht Hurras al-Din weiterhin in enger Beziehung mit dieser. Aufgrund dessen stehen sie auch in Feindschaft gegenüber der Türkei, welche auf ihre Stellvertreter und Verbündeten (wie Tahrir al-Sham) Druck für die Einhaltung der Waffenruhe ausübt. Eigenen Angaben zufolge wurden bei der Operation im Dorf Tanjara bis zu 30 syrische Soldaten getötet, während in den eigenen Reihen schätzungsweise acht Kämpfer getötet wurden.

Neben den getöteten Soldaten fiel die Ausbeute aber wenig aus, nur wenige Waffen konnten bei dem Überfall erbeutet werden. Einzige Ausnahme bildet ein funktionsfähiger T-55-Kampfpanzer, welcher angeblich ebenfalls gesichert werden konnte. Am Tag darauf konnte Tanjara auf der al-Ghab-Ebene von der syrischen Armee wiedererobert werden. Dennoch halten Artillerieangriffe bis heute an, insbesondere die umliegenden Ortschaften sind von den Bombardements betroffen.

Parallel dazu nahmen die Türkei und Russland ihre Patrouillen entlang der ausgehandelten Demarkationslinie, die M4-Autobahn zwischen Aleppo und Latakia, auf. Während die Kontrollfahrt der Deeskalation dienen soll, wurde sie wie für gewöhnlich nicht nur von Zivilisten und aufständischen Kämpfern blockiert, sondern auch durch einen Sprengsatz (IED) angegriffen. Diese verursachte jedoch keinen Schaden und der Konvoi konnte seine Fahrt weitersetzen.

Es gibt ohnehin wenig Hoffnung auf einen langfristigen Frieden, das hat Vergangenheit immer wieder gezeigt. Stattdessen werden Waffenruhen als Pausen von beiden Seiten genutzt, um sich neu zu gruppieren, Verstärkungen an die Frontlinien zu schaffen und neue Stellungen auszuheben. Teil der neuen demilitarisierten Zone ist ebenfalls die Region rundum Latakia und der Stadt Jisr al-Shughour, die inzwischen mehrheitlich von dschihadistischen Gruppierungen aus Tschetschenien, Degestan, Usbekistan oder der chinesischen Xianjiang-Provinz (Uiguren) beherrscht wird. Diese Gruppierungen sind nicht dafür bekannt, sich an zwischenstaatliche Vereinbarungen zu halten und werden alles unternehmen, um weiterhin ihren Dschihad in Syrien ausführen zu können. Dadurch erhält die syrische Regierung wiederum eine neue Legitimation, gegen die Opposition militärisch vorgehen zu können.

Der derzeitige Deal erinnert frappierend an all die Waffenruhen der vergangenen Jahre. So einigten sich Russland und die Türkei beispielsweise 2018 auf eine etwa 15 bis 20 Kilometer breite „demilitarisierte Zone“ entlang der Frontlinien in den Provinzen Idlib, Hama und Aleppo. Diese Pufferzone soll eine militärische Eskalation der derzeitigen Situation in Idlib verhindern. Die Kontrolle sollten dann türkische und russische Patrouillen in einem Gebiet übernehmen, welches vom Latakia-Gebirge bis an die Großstadt Aleppo reichte. Heute ist das Ergebnis offensichtlich: Nach mehrfachen Brüchen und neuen Verhandlungsversuchen kontrolliert die syrische Armee die Hälfte der Provinz Idlib und die Provinz Aleppo inzwischen fast vollständig.

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