Libysche Waffenruhe wackelt

In den letzten zwei Monaten war es ruhig um Libyen, der Grund hierfür ist in einer Ursache zu finden: Nach der erfolgreichen Gegenoffensive der in Tripolis sitzenden „Einheitsregierung“ (GNA) mit dem Premierminister Fayiz al-Sarraj an der Spitze im Krieg gegen die ostlibysche Tobruk-Regierung (bzw. der „Libyschen Nationalarmee“ (LNA) unter der Führung von Khalifa Haftar) kam es zur Wiederaufnahme von diplomatischen Verhandlungen, nachdem beide Bürgerkriegsparteien keinerlei Aussicht auf eine militärische Beilegung des Konfliktes haben. Die unter der Obhut der Vereinten Nationen geführten Gespräche waren bisher vielversprechend, jedoch zeigen sich erste Risse: Innerhalb der Einheitsregierung gibt es Milizen und Kräfte, die eine freiwillige Aufgabe der Macht ablehnen und dementsprechend derzeit revoltieren. Auch auf der anderen Seite machen sich die radikaleren Fraktionen dazu bereit, eine mögliche Waffenruhe zu sprengen.

Die Gespräche im Nachbarland Tunesien sind zuletzt ins Stocken geraten. Bis Sonntag gab es die voreilige Hoffnung, die seit September andauernden Verhandlungen könnten in gemeinsame Neuwahlen für das ganze Land münden, die zu einer wirklichen Einheitsregierung führen würde. Dabei handelt es sich um ein Konzept, welches seit Jahren als das wichtigste Ziel der Libyengespräche gilt, aber immer wieder gescheitert ist. Dieses Szenario hat sich nun am Montag wiederholt, offiziell pausieren die Gespräche nun bis zum nächsten Sonntag und werden dann per Videokonferenz weitergeführt. Die libyschen Delegationen bestehen dabei aus verschiedensten Interessengruppen und Klientelen, wobei militärische Fraktionen quasi gar nicht vertreten sind.

Diese könnten in der Zukunft auch die Verhandlungen behindern. Der Innenminister der westlibyschen Einheitsregierung veröffentlichte einen Plan, der die Entwaffnung diverser Milizen vorsieht. Diese möchten ihre Machtposition dabei jedoch nicht aufgeben und lehnen die Bezeichnung „Miliz“ kategorisch ab. Insbesondere die Stadt Misrata, die zweitwichtigste Küstenstadt neben Tripolis für die GNA, ist ein wichtiger Ursprungsort des westlibyschen Sicherheitsapparates, viele Organisationen mit Kontakten zur Muslimbruderschaft und zur Türkei stammen von hier und geben in der Hauptstadt bisweilen den Takt an. Sie können nur sehr unwahrscheinlich auf diplomatischen Wege überzeugt werden, ähnlich ist die Situation in Westlibyen, wo die Libysche Nationalarmee herrscht und insbesondere ihr Anführer Haftar eine zivile Regierung als mögliche Bedrohung ansieht.

Die Tobruk-Regierung unter Khalifa Haftar kontrolliert etwa 70% des Landes, ein Großteil davon ist jedoch Wüste. Die dortige Koalition bestand zunächst aus verschiedenen Milizen, welche sich jedoch auch aufgrund internationaler Hilfe zunehmend professionalisierten und inzwischen in Form der „Libyschen Nationalarmee“ zu den stärksten Streitkräften auf dem libyschen Schlachtfeld gehören. Dennoch agieren viele Milizen unter dem Schirm der LNA weiterhin unabhängig. Haftar verschrieb sich persönlich primär der Bekämpfung von islamistischen Kräften im Land, so wurden über mehrere Jahre und Monate hinweg Städte wie Benghazi oder Dernah aus den Händen des Islamischen Staates, al-Qaidas oder lokaler Islamisten befreit. Unterstützt wird er dabei vor allem durch Russland, das Nachbarland Ägypten, die Vereinigten Arabischen Emirate und auch Frankreich, welches zunehmend gute Beziehungen zu Haftar aufrecht erhält, nachdem er für eine Notoperation nach Frankreich transportiert wurde. Auch Griechenland, Saudi-Arabien, Israel und Jordanien unterstützen Ostlibyen. Zudem ist er amerikanischer Staatsbürger, nachdem er erfolglos gegen Ghadaffi 1989 geputscht hatte und die USA ihm eine Zuflucht anbot.

Auf der anderen Seite befindet sich die sogenannte „Einheitsregierung“, welche von der UN als legitimer Vertreter des libyschen Staates angesehen wird. Im Vergleich zur Tobruk-Regierung existiert eine niedrigere militärische und politische Einheit, immer wieder versuchen lokale Milizen aus den verschiedenen Vorstädten von Tripolis um die Herrschaft zu buhlen und attackierten auch mehrmals die örtlichen „Tripolis Protection Force“. Die verschiedenen Milizen vor Ort haben die tatsächliche Macht in der Region, die Regierung unter al-Sarraj ist vergleichsweise machtlos und auf die internationale Unterstützung angewiesen. Diese Unterstützung erhalten sie in erster Linie von der Türkei, aber auch der Iran und Katar transportierten bereits Waffen und lieferten finanzielle Hilfe. Der Konflikt zwischen der Einheits- und Tobruk-Regierung ist aber nicht nur Ausdruck geopolitischer Machenschaften, sondern zeigt die weiterhin bestehende Aufteilung des Landes in das ostlibysche Cyranaika und westlibysche Tripolitanien auf, die die angespannten Beziehungen der Regierungen und Bevölkerung stärken.

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