Türkei vor einer neuen Offensive in Syrien?

Im Norden Syriens regt sich ein kalt gewordener Konflikt wieder. In den letzten Tagen kam es zu schweren Gefechten zwischen dem arabisch-kurdischen Milizenbündnisses der „Syrischen Demokratischen
Kräfte“ (SDF) und der islamistischen, pro-türkischen „Syrischen Nationalarmee“ (SNA) mit direkter türkischer Unterstützung, die sich über den Zeitverlauf wesentlich intensiviert haben. In der Nähe der Stadt
Ain Issa kam es gestern zum Einsatz schweren Kriegsgerätes, hunderte Geschosse an Mörsern und Artillerien trafen Verteidigungsstellungen der SDF in der Umgebung, von der einstigen Waffenruhe
zwischen den beiden Seiten verbleibt nur noch der Vertrag. Während sich die Situation an der Frontlinie erhitzt und es fernab der Frontlinien zu Guerillakämpfen kurdischer Aufständischer kommt,
könnten die neuesten Entwicklungen ein Zeichen für eine bevorstehende Militäroffensive der Türkei sein, dessen Ziel neue Territorien des kurdischen Autonomiegebietes sind.

In den neuesten Gefechten kam es erstmals zum Tode von nicht involvierten Zivilisten, insgesamt acht Personen starben in Ain Issa nach mehrstündigen Artillerieangriffen auf verschiedene Teile der Stadt und der Umgebung.
Bereits in den letzten Monaten versuchte die Syrische Nationalarmee, neue Positionen von der SDF zu erobern, nur um dann nach mehrmaligen Offensiven zurückgeschlagen zu werden. Ob hier ein unmittelbarer
Zusammenhang zu den derzeit laufenden Kampagnen steht ist bisher unklar, jedoch könnten diese Plänkeleien als Versuche der SNA gesehen werden, die Verteidigung und Kampfbereitschaft der SDF zu testen.

Für eine offizielle, groß angelegte Militäroffensive der Türkei gibt es jedoch noch einige Unklarheiten, bis es tatsächlich dazu kommen könnte. Vor allem findet sich die Problematik der in der militärischen Präsenz
Russlands und der syrischen Streitkräfte vor Ort, welche als Schutzmacht gegen die Türkei und ihre Interessen auftreten soll, nachdem sich die USA aus weiten Teilen Nordsyriens zurückgezogen hat, aber immer noch
mit etwa 2.000 Soldaten in Ostsyrien aktiv ist. Insofern man nicht über geheime Absprachen spekulieren will und kann, wird diese Problematik der russischen Militärpräsenz auch nicht so schnell verschwinden.

Die Folgen einer solchen Operation wären offensichtlich, wie die Vergangenheit bereits in Afrin oder Tel Abyad gezeigt hat. Die christliche Minderheit, welche sowohl in Ain Issa als auch Tel Tamr vergleichsweise stark vertreten ist, fürchtet die Herrschaft der Türkei bzw. ihrer syrischen Stellvertreter. Daran schuld ist vor allem das Verhalten der Islamisten: Die „Syrische Nationalarmee“ ist ein türkischer Versuch, die verschiedenen islamistischen Milizen unter der eigenen Schirmherrschaft in Afrin und Nord-Aleppo zu vereinen, faktisch jedoch existiert keine gemeinsame Struktur und Organisation. Stattdessen kommt es immer wieder zu Plänkeleien um Macht und Einfluss zwischen den verschiedenen Gruppierungen, die oft auf den Rücken der Bevölkerung ausgetragen werden.

Bereits heute wiederholte sich das Afrin-Szenario in Nordsyrien: Massenvertreibung Zehntausender Kurden, Christen und anderer Minderheiten, Zunahme von ethnischen Konflikten zwischen Arabern und Kurden durch die aufgezwungene Deportation syrischer Flüchtlinge in den traditionell kurdischen Gebieten, die Zerstörung von kurdischen und religiösen Kulturgütern wie z.B. Friedhöfe oder Schreine oder die Ausbeutung von natürlichen Ressourcen. in Tel Abyad wurden beispielsweise mehrere Familienmitglieder entführt, damit man von den Verwandten Lösegeld fordern kann, ein Großteil der ehemals kurdischen Läden und Häuser wurden von Islamisten konfisziert und zum eigenem Wohnsitz umfunktioniert. Derweil schickt die Türkei die ersten Flüchtlinge aus anderen Teilen des Landes nach Tel Abyad, um einen forcierten demographischen Wandel durchzuführen.

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