Schwere Proteste erschüttern das kurdische Nordirak

Es ist wieder jene Zeit im kurdischen Autonomiegebiet des Iraks, die sich jedes Jahr zu wiederholen scheint: In den verschiedenen Städten brachen große Proteste statt, die sich gegen die desaströse Innenpolitik der regierenden Parteien der „Demokratischen Partei Kurdistan“ (KDP) und der „Patriotischen Union Kurdistan“ (PUK) richtet. Beide Organisationen beantworteten die Demonstrationen mit Gewalt, reguläre Sicherheitskräfte und Paramilitärs wurden auf den Straßen entsandt, um die Proteste gewaltsam aufzulösen. Die Ausschreitungen führten bisher so weit, dass mindestens acht Menschen auf beiden Seiten der Auseinandersetzungen getötet wurden, ein Ende davon scheint nicht in Sicht. Kernforderungen der Demonstranten ist der Rückzug der KDP und PUK aus den jeweiligen Provinzregierungen, da ihre jahrzehntelange Herrschaft seit jeher mit Korruption in Verbindung gebracht wird und sich die Region seit Jahren in einer schweren wirtschaftlichen Krise befindet.

Die Auseinandersetzungen finden vor allem in den großen Städten wie Erbil oder Suleymaniyah statt, wo Polizisten oder Peschmerga-Kämpfer mit Tränengas, Wasserwerfern und maskierten Schlägern auf die Protestzüge reagieren. In Folge dessen wurden mindestens sieben Demonstranten getötet, hinzu kommt ein Peschmerga-Kämpfer der KDP. Insgesamt sollen bereits Hunderte auf beiden Seiten verletzt worden sein, hinzu kommen enorme Sachschäden, viele Regierungsinstitutionen wie Rathäuser, Parteibüros oder Ministerien wurden in Brand gesetzt. Der Anlass der Proteste sind seit Monaten ausbleibende Löhne im Beamtensektor, gepaart mit den allgemein pessimistischen Zukunftsperspektiven, ein Großteil der jungen Menschen ist arbeitslos, während die Öleinnahmen zunehmend wegfallen und die derzeitige Pandemie nochmal besonders schwer schadet.

Politische Proteste und Ausbrüche von Gewalt sind nichts ungewöhnliches für das kurdische Irak, eher ein jährliches Ereignis. Besonders verheerend war die Situation vor zwei Jahren, als in Folge einer ökonomischen Rezession, dem Verlust der Provinz Kirkuk, umstrittenen Parlamentswahlen und dem Scheitern des Unabhängigkeitsreferendums neue Demonstrationen ausbrachen, die das regierende Klientel aktiv bedrohten und erst nach mehreren Monaten abebbten. In diesem Zeitraum kam es zu brutalen Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften, in vielen Orten starben Menschen und Regierungsgebäude wurden in Brand gesteckt. Dabei wurden auch viele kurdische Journalisten gefangen genommen und bisweilen gefoltert.

Im irakischen Kurdistan regieren traditionell die KDP und PUK seit Jahrzehnten in ihren jeweiligen Provinzen und haben den Ruf der Korruption und des Nepotismus, da beide seit ihrer Gründung von einer Familie (den Bahrzanis und Talabanis) kontrolliert und beherrscht werden und jeglicher Widerstand dagegen bekämpft wird. Da diese Problematik bis heute nicht behoben ist, gerade bei den Bahrzanis sich sogar intensiviert hat, wird es auch immer wieder zu derartigen Ausschreitungen wie momentan kommen. Als Reaktion auf diese Missstände gründeten sich neue Parteien wie „Gorran“ oder „Neue Generation“, die aktiv die Korruption in Kurdistan bekämpfen wollen. Dementsprechend kommt es oft zu Reibereien zwischen den kurdischen Parteien, auch zwischen Anhängern der KDP und PUK untereinander. Beide Regierungsparteien unterhalten ihr eigenes Militär bzw. Milizenverbänden, die in Situationen wie diesen auch gegen Demonstranten eingesetzt werden.

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