Türkei schickt neue Truppen nach Syrien

Über die vergangenen Tage konnte man ungewöhnliche Truppenmanöver entlang der gemeinsamen Grenze zwischen der Türkei und der letzten, noch von islamistischen Kräften gehaltenen Provinz Idlib im Nordwesten Syriens beobachten. Türkische Militärkonvoi überquerten die Landesgrenze in einer seit langem nicht mehr gesehenen Größe und Quantität und verstärkten somit ihre Militärbasen und Kontrollpunkte in Idlib und in der Nähe der Frontlinien, in der sich Oppositionelle und die syrische Armee gegenüberstehen. Unter den Verstärkungen befindet sich auch modernstes Equipment, aber auch Waffenlieferungen an ihre verbündeten Gruppierungen im Kampf gegen die syrische Regierung. Einigen Gerüchten zufolge könnte eine neue Militäroperation der Türkei in Aussicht stehen, die sich gegen die syrischen Streitkräfte richtet.

Mehrere Militärkonvois, bestehend aus dutzenden LKWs, Kampfpanzern und schwerer Artillerie, überquerten den Bab-al-Hawa-Grenzübergang im Nordwesten Idlibs und etablierten bisherigen Meldungen zufolge mehrere Militärbasen in der gesamten Region. Ein besondere Präsenz fällt aber auf das gebirgige Gebiet Jabal al-Akrad nahe Latakia zu, die zugleich Kernterritorium dschihadistischer Organisationen wie der 2. Küstendivision, der uigurisch-chinesischen „Islamischen Turkestan-Partei“ oder anderen usbekischen oder tschetschenischen Gruppierungen ist. Diese sind nicht nur daran interessiert, die bestehende Waffenruhe zu brechen und dabei auch türkisches Militär zu attackieren, sondern sind zugleich diversen Medienberichten zufolge potentielles Ziel einer militärischen Regierungsoffensive.

Denn die Region um Jabal al-Akrad befindet sich südlich der M4-Autobahn, welche ursprünglich die „Demilitarisierungslinie“ zwischen Regierung und Opposition darstellt. Diese solle ursprünglich von russisch-türkischen Konvois patrouilliert werden, die damit die verhandelte Waffenruhe überprüfen sollen. Integraler Bestandteil dieser diplomatischen Bemühungen ist auch die Evakuierung islamistischer Gruppierungen südlich der M4, was bis heute nicht erfolgte. Darin sieht die syrische Regierung eine Legitimation für eine zukünftige Operation, welche aber bisher noch nicht genutzt wurde.

Doch nicht nur Verstärkungen, auch Abzüge und Verlegungen sind Bestandteil der neuen türkischen Syrienpolitik. Der nur wenige hunderte Meter von den Frontlinien liegende Stützpunkt nahe der Stadt Saraqib wurde in den letzten Tagen evakuiert und zerstört. Dabei kam es auch zu einem ungewöhnlichen Zwischenfall, in dem ein syrischer Fahrer getötet wurde. Ein LKW-Konvoi auf dem Weg zu dieser Militärbasis wurde von einer Panzerabwehrrakete der syrischen Streitkräfte angegriffen und in Folge dessen zerstört, der aus Idlib stammende Fahrer verstarb dabei. Konsequenzen für diesen Vorfall gab es bisher keine, die Basis wurde trotz kurzer Unterbrechung verlassen.

Zeitgleich dazu fand der Abzug aus einem der sogenannten „Observierungspunkte“ statt, welcher von der syrischen Regierung seit der letzten Idlib-Militäroffensive im Jahre 2019 umkreist und seitdem „belagert“ wird. Das Konzept dieser Stützpunkte war es offiziell, durch ihre Präsenz entlang der Frontlinien eine neue Regierungsoperation zu verhindern und damit als Schutz für die Opposition zu gelten. Beschlossen wurden sie als Teil der russisch-türkischen Verhandlungen in der Hoffnung, eine langfristige Waffenruhe zu etablieren. Jedoch wurden diese im Falle der stattgefundenen Offensiven einfach umgangen und darauffolgend umkreist.

Derzeit existieren insgesamt zwölf solcher Militärbasen tief im Territorium der syrischen Regierung, in denen jeweils dutzende türkische Soldaten eingeschlossen sind. Diese wurden durch Russland oder der Türkei mit Lebensmitteln und anderen Bedürfnissen beliefert, wodurch sie nicht Bestandteil militärischer Konflikte waren. In näherer Zukunft könnten wohl weitere solcher Observierungspunkte verlassen werden. Unklar ist, ob diese Basen für Zugeständnisse evakuiert wurden oder warum deren Auflösung gerade jetzt stattfindet, mehrere Monate nachdem sich der Status Quo nicht veränderte.

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